Wir hatten uns mehr als 20 Jahre nicht gesehen. Damals arbeitete Melanie Kirschstein wie der Redakteur dieses Blogs* beim NDR Fernsehen. Wir realisierten Filmbeiträge für das Ressort Reportage im Hamburg Journal. Sehr schlank, schiebt sie auf dem Bürgersteig ein stabiles Rad. Die Haare kurz. Wie damals, als wir schon nicht mehr die Jüngsten waren, aber entscheidende Jahre unseres Lebens noch vor uns lagen.
In einem Ottensener Hinterhof tranken wir mitgebrachten Kaffee. Wir taten etwas, was sich viele Menschen seit fast vier Wochen nicht mehr trauen: Wir führten ein direktes Gespräch.
Zurückschauend entdeckten wir Gemeinsamkeiten. Sie und ihre Familie nahmen einen somalischen Jungen auf, halfen ihm beim Schulabschluss. Meine Frau und ich haben einen jungen Mann aus Eritrea bei uns. In beiden Fällen überwiegen gute Erfahrungen, die uns jedoch in unserer Skepsis bestärken, was die Lebensperspektiven der meisten Flüchtlinge angeht. Der Erfolg erfordert intensive Unterstützung, viel mehr als in der Regel möglich ist. Jetzt fragten wir uns, wie wirken sich die neuen Bedingungen auf die Flüchtlingsberatung aus?
Eines unserer Motive als Reporter war das Interesse an Menschen. Wir recherchierten nicht nur im Internet, sondern fanden unsere Protagonisten in ihrer Alltagswelt. Vor den Dreharbeiten machten wir uns ein Bild. Denn nur so konnten wir über Dinge berichten, die nicht offensichtlich waren. Als die Filme immer kürzer wurden, machte es für Melanie Kirschstein keinen Sinn mehr. Sie wurde Pastorin. Wenn sie über 18 Jahre in der Gemeinde erzählt, sehe ich ihr die Begeisterung an.
Handelt die Diakonie professionell, wenn sie Beratung per Telefon organisiert?, frage ich die ehemalige Kollegin. Eine Schuldnerberatung oder die Hilfe bei einer Antragstellung hält sie ohne Verluste für möglich. Aber Melanie Kirschstein berät und unterstützt meist Menschen in tiefen seelischen Krisen. „Ich gebe Raum für Leib und Seele“, sagt sie. „Körperhaltung und Mimik, alles fliesst ein in die Wahrnehmung. Schweigen und beten geht am Telefon nicht so gut.“
Beeindruckt gab sie wieder, was ihr ein ehrenamtlicher Mitarbeiter einer Seelsorge-Hotline erzählt hatte. Nie zuvor habe er so deutlich das Elend wahrgenommen, das erzwungene Einsamkeit bedeuten kann. Manche weinten, fühlten sich verlassen, andere waren wütend. Erinnerungen an die Kriegsjahre kamen hoch. Aber im Laufe des Gesprächs auch Hoffnung und Vertrauen. Krisen fördern zutage, was unsere Entfaltung hemmt. Das versteckt sich hinter der Botschaft „Krise als Chance“!
* Redakteur ist Stefan Moes, Schreibtischler, Tel. 0171 834 89 64. Im fünften Jahr unterstützt er die Kampagne Diakonie. Gut beraten. www.diakoniegutberaten,de. Verantwortlich sind die beiden Geschäftsführerinnen der Diakonie Hamburg-West/Südholstein. (Impressum)