Der Reporter soll in 270 Zeichen die Beraterin Sheida Yavari portraitieren, für die Website der diakonischen Einrichtung Flüchtlings- und Migrationsarbeit. Das muss fix gehen. Aber er würde das nie nur per Telefon machen.
Seit dem 3. August arbeitet Sheida Yavari in der Notunterkunft Fadens Tannen. Wie ihre Kollegin nebenan lässt sie das Bürofenster weit offenstehen: eine Einladung an die Rat Suchenden. Die können ohne Maske, auf Abstand und doch so nahe, dass niemand mithören kann, Ihr Anliegen besprechen.
Die Notunterkunft als Schonraum
Hier leben Menschen, für die Wohnungen fehlen; denen aber mehr fehlt als die Wohnung.
Manche der obdachlosen Männer, die hier untergebracht sind, wissen nicht mehr, wie wohnen geht. Alkohol spielt in ihrem Alltag eine große Rolle. Und dann sind da Familien, die – meistens aus Syrien – 2015 nach Deutschland flüchteten. Kriegsflüchtlinge, die aus ihrem Alltag
herausgebombt, vom Lagerleben geprägt sind. Für sie ging alles zu schnell. Die Unterkunft
ermöglicht ihnen, weiterhin in ihren gewohnten Strukturen zu leben, beobachtet die Beraterin.
Schminke als Zeichen der Emanzipation
Sheida Yavari bekam 2016 politisches Asyl. Im Iran gehörte sie der kurdischen Minderheit an. Der Iran sei ein Land, in dem traditionelle, alte Männer die Macht festhalten. Die Zukunft, so hofft sie, gehöre den Frauen. Sie bildeten bereits die Mehrheit der Studierenden
an den Universitäten. Dezent geschminkt, mit lebendigen dunklen Augen, verkörpert
sie geradezu den Behauptungswillen der modernen Frauen in ihrer Heimat. Ihr Vater wurde
vor 16 Jahren Opfer eines Anschlags. Sie vertrat als Rechtsanwältin Oppositionelle vor Gericht. Als ihr selbst das Gefängnis drohte, verließ sie das Land.
„Im Iran forderte ich Frauen- und Bürgerrechte. Hier genieße ich sie,“ erklärt Sheida Yavari. Es sei viel Geduld und Zuwendung nötig, den Familien, vor allem den Männern, diese Werte zu vermitteln. Die Sprache zu lernen, um die deutsche Kultur zu verstehen, sei das Wichtigste und das Schwerste, weiß die Mittdreißigerin aus eigener Erfahrung.
Nach mehr als einer Stunde raucht dem Reporter der Kopf. Am Telefon hätte sich kein so intensives Gespräch ergeben. Zum Glück gibt es den Blog. So kann er wenigstens ein bisschen von dem, was er erfahren hat, weitergeben. Nur Corona war kein Thema. Auch mal gut.