Heute will ich Marion Laux treffen. Sie leitet die Tagesstätte MAhLZEIT in Hamburg Altona, die täglich bis zu 160 obdachlosen Gästen ein Dach über dem Kopf und noch vieles mehr bietet. Die Tür ist zu. Die Behörden veranlassten die Schließung, weil hier wie in anderen Einrichtungen das Abstandsgebot nicht eingehalten wurde.
Verrückt, denke ich, wo mögen die Leute sein? Da öffnet sich die Tür und die Chefin des Hauses kommt heraus. Sie will mit Sabine, einer ehrenamtlichen Helferin, zum Altonaer Bahnhof. Sie weiß, dort trifft sie viele ihrer Gäste. Es ist schon ihre zweite Runde. Ich darf mit. Der Kleinbus ist vollgeladen mit Plastiktüten. Darin Dinge, die auf der Straße wichtig sind.
Unterwegs schnell die Fakten. Die aufsuchende Arbeit ist anstrengend und aufwendig. Eine gute Nachricht: Die Spenden nehmen nicht ab. Ein schwedisches Möbelhaus (der Tischler in mir zögert, es zu erwähnen) spendete Handtücher und Thermobecher. Auch Geld werde zum Glück gespendet. Kleider nehmen die Helfer nicht mehr so gern an. „Die Leute misten jetzt aus. Die haben ja Zeit. Das verkraften wir nicht,“ sagt Frau Laux.
Am Bahnhof wachen zwei Polizisten darüber, dass die Obdachlosen nicht zu eng zusammen sitzen. Gereizte Stimmung. Als wir mit den Tüten kommen (Stullen, Socken, Seife etc.) begrüßen uns die Männer herzlich. Sie freuen sich wie Kinder zu Weihnachten. Einer sagt mir: „Wir haben keinen Ort mehr, an dem wir bleiben können. Ich habe Angst, dass uns die Gesellschaft im Stich lässt.“ Irgendetwas macht ihn, wie so viele, unruhig, wenn er an die Nach-Corona-Zeit denkt.
Diese Arbeit lässt sich nicht ins Netz verlegen. Und doch ist die Aktion nur ein schwacher Ersatz für die Tagesstätte. „Viele tauchen jetzt ab. Wahrscheinlich ins Elend,“ sagt die Frau, die hier alle Marion nennen. Zwei Männer, die jetzt ihre Tüten auspacken, sind volltrunken. „Die waren auf einem guten Weg, jetzt versacken sie. Allein kommen sie da nicht raus.“ Hier wird tatsächlich spürbar, dass es für direkte Kontakte von Mensch zu Mensch keine Alternative gibt, denke ich: Wie lange halten die Helfer die Belastung noch aus? „So lange es sein muss. Nützt ja nix.“
Stefan Moes www.moebel-und-texte.de