Wer aus der Wohnung nebenan immer wieder laute Streitereien des dort lebenden Paares mitbekommt, die in Wutausbrüchen des Mannes enden, fragt sich: Kann das Liebe sein? Wer es dann nicht mehr aushält und abwartet, bis der Mann aus dem Haus geht, um der Frau Hilfe anzubieten, wie es der Reporter vor langer Zeit einmal tat, kann eine schockierende Erfahrung machen.
Die Nachbarin wehrt die Hilfe ab, verbittet sich die Einmischung und behauptet, alles sei Ordnung. Sie betont das eindringlich, dass klar war, sie würde auch der Polizei erzählen, sie sei gegen die Türe gerannt.
Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt werden, stecken häufig in einer Beziehungsfalle. Streitereien steigern sich bis zu einem Ausbruch mit massiver Gewalt. Der Schreck darüber führt zu Entsetzen und Reue und auch Nähe. Die Frau hofft, es könnte sich doch noch alles zum Guten wenden.
Du bist schuld
„Wenn Frauen in der Beratung erkennen, dass sie sich in einer Gewaltspirale befinden, machen sie den ersten Schritt zur Befreiung aus dieser Situation,“ sagt Annette von Schröder von der Beratungsstelle Patchwork in Hamburg Ottensen. „In der Gewaltspirale komme es nach der Reue und Nähe oft zur Schuldumkehr: ´Hättest Du Dich besser verhalten, dann wäre es nicht zur Gewalt gekommen.´ So beginnt der Kreislauf von Neuem.“
Die Täter schaffen es, den Frauen immer wieder Hoffnung zu machen. So versperren sie die Wege aus der Gewaltbeziehung.
Der Lockdown im Zuge der Virusbekämpfung hat in Hamburg aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu einem Zuwachs an häuslicher Gewalt geführt. Was eine gute Nachricht ist! Die Zahlen sind aber leider sowieso zu hoch. Patchwork bereitet deshalb eine Präventionskampagne vor. Unter dem Motto „Vergiftete Liebe“ finden Aktionen, Vorträge und Gespräche statt.
Veranstaltungen im Spätsommer
“Wir helfen betroffenen Frauen zu erkennen, wie komplex und schwer durchschaubar vergiftete Beziehungen sein können.“ Hinweise und Veranstaltungstermine veröffentlichen die Organisatorinnen auf den Websites der Diakonie Hamburg-West/Südholstein und der Website von Patchwork.
Gut, dass es Patchwork und andere Beratungsstellen gibt, überlegt der Reporter. Ihm fehlte damals die Information. Aber das ist mehr als dreißig Jahre her. Wenn ihm die Frau in Altona begegnet, weicht sie ihm aus. Opfer von Gewalt leiden nicht nur, sie schämen sich auch. Da gibt es für Beraterinnen noch einiges zu tun.