Archiv für den Monat: August 2020

DIe Würze der Kürze

Der Reporter soll in 270 Zeichen die Beraterin Sheida Yavari portraitieren, für die Website der diakonischen Einrichtung Flüchtlings- und Migrationsarbeit. Das muss fix gehen. Aber er würde das nie nur per Telefon machen.

Seit dem 3. August arbeitet Sheida Yavari in der Notunterkunft Fadens Tannen. Wie ihre Kollegin nebenan lässt sie das Bürofenster weit offenstehen: eine Einladung an die Rat Suchenden. Die können ohne Maske, auf Abstand und doch so nahe, dass niemand mithören kann, Ihr Anliegen besprechen.

Die Notunterkunft als Schonraum

Hier leben Menschen, für die Wohnungen fehlen; denen aber mehr fehlt als die Wohnung.
Manche der obdachlosen Männer, die hier untergebracht sind, wissen nicht mehr, wie wohnen geht. Alkohol spielt in ihrem Alltag eine große Rolle. Und dann sind da Familien, die – meistens aus Syrien – 2015 nach Deutschland flüchteten. Kriegsflüchtlinge, die aus ihrem Alltag
herausgebombt, vom Lagerleben geprägt sind. Für sie ging alles zu schnell. Die Unterkunft
ermöglicht ihnen, weiterhin in ihren gewohnten Strukturen zu leben, beobachtet die Beraterin.

Schminke als Zeichen der Emanzipation

Sheida Yavari bekam 2016 politisches Asyl. Im Iran gehörte sie der kurdischen Minderheit an. Der Iran sei ein Land, in dem traditionelle, alte Männer die Macht festhalten. Die Zukunft, so hofft sie, gehöre den Frauen. Sie bildeten bereits die Mehrheit der Studierenden
an den Universitäten. Dezent geschminkt, mit lebendigen dunklen Augen, verkörpert
sie geradezu den Behauptungswillen der modernen Frauen in ihrer Heimat. Ihr Vater wurde
vor 16 Jahren Opfer eines Anschlags. Sie vertrat als Rechtsanwältin Oppositionelle vor Gericht. Als ihr selbst das Gefängnis drohte, verließ sie das Land.

„Im Iran forderte ich Frauen- und Bürgerrechte. Hier genieße ich sie,“ erklärt Sheida Yavari. Es sei viel Geduld und Zuwendung nötig, den Familien, vor allem den Männern, diese Werte zu vermitteln. Die Sprache zu lernen, um die deutsche Kultur zu verstehen, sei das Wichtigste und das Schwerste, weiß die Mittdreißigerin aus eigener Erfahrung.

Nach mehr als einer Stunde raucht dem Reporter der Kopf. Am Telefon hätte sich kein so intensives Gespräch ergeben. Zum Glück gibt es den Blog. So kann er wenigstens ein bisschen von dem, was er erfahren hat, weitergeben. Nur Corona war kein Thema. Auch mal gut.

Öffentliche Ärgernisse

30 Menschen finden im Speisesaal des MAhL ZEIT Platz. Viel weniger als vor Corona, denn es gelten nach wie vor strenge Hygieneregeln. Jetzt in der Mittagszeit steht der Reporter mit den Obdachlosen an der Tür und hält die Hand auf, für einen Spritzer Desinfektionsmittel. Er hat einen Termin mit der Leiterin, Marion Laux. Eine Frau wie der Duracell-Hase. Ständig auf dem Sprung, weiß sie, wo die Hundefutterdosen lagern und wird geholt, wenn der Typ wieder auftaucht, der alle beschimpft, weil es hier Schweinefleisch zu essen gibt. Höflich, aber bestimmt zeigt sie ihm den Ausgang. „Wir sind kein Restaurant. Hier wird gegessen, was auf den Tisch kommt.“

Die Gäste kommen zum Reden und weil hier gut gekocht wird

„Und was die Spender uns geben,“ fügt sie hinzu. Frau Laux traf der Reporter schon öfter. Er ist Fußgänger und hat es nicht weit. Noch wichtiger: hier wird face to face geredet – Klartext, trotz Maske, auf den Punkt. Gerade ärgert sich die Leiterin der Tagesstätte über den Norddeutschen Rundfunk. Im Hamburg Journal zeigt die Autorin Marika Williams ein Problem auf: Menschen ohne Dach über dem Kopf betrinken sich vor dem Bahnhof. Es wird laut, als die Sozialarbeiterin – vor laufender Kamera –  provozierend herumkoffert. So etwas stört Frau Laux: „Wir sind oft am Bahnhof Altona und wurden nicht einmal beschimpft.“

Ärgerlich: Nur MAhL ZEIT hat geöffnet

Die im Beitrag des NDR genannten Hilfsstellen seien immer noch geschlossen, kritisiert sie. Es sei kein Wunder, dass die Menschen nach Plätzen suchen, wo sie sich treffen können. Das ist der Autorin des NDR Hamburg Journal aber kein Wort wert. Sie will offensichtlich auf eine bedrohliche Situation für die Bahnreisenden und die Einkaufenden hinweisen. Aber die Altonaer, die sie interviewt, widersprechen dem Bild, das sie malt. Sie finden Armut skandalös, nicht aber arme Menschen. Und es spricht für die Redaktion und die Autorin, dass sie die kritischen Stimmen nicht unterschlagen.

Auch Stammgäste der MAhL ZEIT sitzen am Bahnhof. Mit vollem Bauch. Denn, wie gesagt, im MAhL ZEIT gibt es etwas Warmes. Darf man Frau Laux mit dem Duracell-Hasen vergleichen? sinniert der Reporter. Na ja, wenn es der Wahrheitsfindung dient,“ nickt Marion Laux und dann lacht sie, „aber schöner wäre es, wenn die Anderen auch dran denken könnten, wo das Hundefutter lagert.“

Hier können Sie sich den Beitrag des NDR Hamburg Journal ansehen

Blog: Niemals ratlos

Jede Teilnehmerin zählt

Wenn nur zwei Teilnehmerinnen zu einer Veranstaltung über Stalking kommen, muss einiges schief gelaufen sein, denkt der Reporter vor dem Gespräch mit Patchwork. Aber Corona verschiebt Wertmaßstäbe. Der Auftakt am Montag Abend im Café Kompass in Hamburg Ottensen sei ein Erfolg, erklärt Annette von Schröder, Beraterin von Patchwork. „Wir wollten schon auf die Kompass Café-Abende verzichten, aber dann dachten wir: Jede Frau, die kommt, zeigt, dass auch jetzt persönliche Kontakte wichtig sind. Das macht Mut.“

Hand in Hand gegen häusliche Gewalt

Veranstaltungsreihen plant man nicht mal eben so. Das Patchwork-Team arbeitete mehrere Monate an einem schlüssigen Konzept; unterstützt durch Spenden der NDR-Aktion „Hand in Hand für Nordeutschland“. An sechs Terminen werden jeweils sechs Schwerpunktthemen im Bereich Häusliche Gewalt und Stalking vorgestellt und in lockerer Runde besprochen. Sie wollen Frauen erreichen, die anfangen, sich mit der Problematik zu beschäftigen. Gezwungenermaßen, wie die Teilnehmerin, deren Ex-Partner noch Wochen nach der Trennung jeden Abend vor ihrer Haustür steht. Wo hört Trennungsschmerz auf, ab wann muss er als Stalking gewertet werden?

Darüber lässt sich auch zu dritt gut sprechen. Das Café Kompass war gerade eingerichtet, da  machten gläserne Trennwände und Desinfektionsmittel der Gemütlichkeit ein Ende. „Damit können wir leben,“ sagt Frau von Schröder. Das Café sei immer noch ein angenehmer Ort für persönliche Kontakte. „Die Nähe, die wir hier trotz Coronaregeln haben, kann kein Telefongespräch bieten.“ Hier sei es auch möglich, unter sicheren Bedingungen systemische Beratungen durchzuführen.

Corona spendet Zeit

Der lange Lockdown wegen Corona habe auch positive Auswirkungen, erzählt die Beraterin. Das zeigten die 14 Frauen, die ehrenamtlich Telefon-Beraterin in Konflikten mit häuslicher Gewalt werden wollen. Normal waren bisher sieben Bewerbungen. „Wir vermuten, dass der gedämpfte Alltag, die geringeren Möglichkeiten, ins Kino oder ins Konzert zu gehen, die Entscheidung zum ehrenamtlichen Engagement verstärkt.“

„Diese Reihe führen wir bis zum Ende durch, auch wenn nur eine Interessentin kommt. Was dann kommt, ist offen, sagen sie bei Patchwork.“ Luft genug nach oben ist jedenfalls, sinniert der Reporter und nimmt sich vor, mit anderen Einrichtungen über die Zukunft von Info-Abenden zu sprechen.

Die verbleibenden fünf Veranstaltungen.